Mein Confirmation-Bias hat mich einmal mehr einiges an Zeit gekostet. Ich bin vor einer Weile auf eine Studie gestoßen [1], die einen negativen Zusammenhang zwischen Altruismus und Religiosität herstellt. Etwas klarer ausgedrückt: Kinder aus christlichen und muslimischen Haushalten teilen zurückhaltender, zeigen größere Intoleranz und bestrafen andere härter als Kinder aus nicht religiösen Haushalten. Einen Zusammenhang stellen die Autoren der Studie zum Phänomen der moralischen Lizenzierung her, also der sonderbaren Fähigkeit der menschlichen Psyche schlechte Taten mit guten Taten aufzuwiegen. Im Falle der Religiosität wird dann der Glaube an das „Richtige“ selbst unbewusst quasi als moralische Lizenz zum schlecht handeln gewertet, wenn ihr mir gestettet, das so platt auszudrücken.
So weit, so interessant und vollkommen filterblasenkompatibel. Bis ich dann gestern den Artikel nochmal hervorgekramt, das heißt, bei Google Scholar irgend etwas wie „religious children are less altruistic“ eingegeben und mit Schrecken das hässliche, in fetten roten Lettern über das Paper gelegte „RETRACTED“ gesehen habe. Die Veröffentlichung wurde von den AutorInnen zurückgezogen. Die Begründung lautet in etwa folgendermaßen: Irgendwie wurde das Herkunftsland der Probanden statistisch fehlerhaft als Kovariate in die Berechnung einbezogen, was einen Einfluss auf einige der Ergebnisse hatte und der Einfluss der Herkunft teilweise zu gering eingeschätzt wurde. Um die wissenschaftliche Integrität zu wahren, müsse die Veröffentlichung also zurückgezogen werden.
Mist! Ich hatte es doch schon schwarz auf weiß gehabt. Religiosität ist wissenschaftlich belegt schädlich; zumindest im Bezug auf altruistisches Verhalten. Und dann machen mir diese WissenschaftlerInnen einen Strich durch die Rechnung, indem sie sich so ehrenhaft verhalten und das Paper aufgrund von Fehlern zurückziehen. Einfach so, von sich aus. Von wegen schwarz auf weiß. Wohl eher fett rot auf schwarz-weiß.Na ja, es gehört wohl Größe dazu, einzugestehen, dass man Fehler gemacht hat. Dies öffentlich zu tun und eine in der wissenschaftlichen Community so wertvolle Veröffentlichung in einem renommierten Journal zurückzuziehen wohl umso mehr. Und während ich so darüber nachdenke, kommt mir diese Erkenntnis tatsächlich wertvoller vor als eine Bestätigung meiner Vorurteile. Das ist gute wissenschaftliche Praxis. Man gibt zu, wenn man etwas nicht weiß, wenn man Fehler gemacht hat und zieht die Konsequenzen.
Ach und nur ganz nebenbei; der letzte Satz der Erklärung des Rückzugs der Veröffentlichung beginnt folgendermaßen: „[…] our title finding that increased household religiousness predicts less sharing in children remains significant, […]“
- Decety et al.: RETRACTED: The Negative Association between Religiousness and Children’s Altruism across the World., in: Current Biology 25(22), pp. 2951–2955, 2015.