Wahrscheinlich habe ich es bisher nicht erwähnt, weil es nicht relevant war, aber vor meinem Studium habe ich eine Ausbildung zum Elektroniker gemacht und nach meiner Elternzeit habe ich wieder angefangen, als Servicetechniker zu arbeiten. Manchmal kommt es vor, dass Leute, bei denen man ist, um deren elektrische Probleme zu lösen, irgendwie besser wissen, wie diese Probleme zu lösen wären, als ich, dessen Beruf das ja ist, deren elektrische Probleme zu lösen. Ich sollte wahrscheinlich eher sagen, diese Leute wissen vor allem, wie man ihr jeweiliges Problem nicht löst. Und zwar so, wie ich es tun würde. Heute war ich bei jemandem, dessen Waschmaschine bei Betrieb durch einen Fehlerstrom regelmäßig den Fehlerstromschutzschalter auslöste. Jedenfalls nach meiner Diagnose. Die Sache war offensichtlich. Laut meiner Messwerte waren sowohl die Steckdose als auch der FI-Schalter in Ordnung und an einer anderen Steckdose, die noch zu meinem explanatorischen Verhängnis werden sollte, weil sie nicht hinter einen FI geschaltet war, lief die Waschmaschine problemlos, ohne eine Sicherheitseinrichtung auszulösen, weil sie ja eben keine solche vorgeschaltet war. Waschmaschinen sind in dieser Hinsicht tückisch, weil sie bekanntermaßen viel mit Wasser arbeiten und Wasser etwas ist, was gerne Fehlerströme in elektrischen Geräten verursacht. Allerdings muss solch ein Fehler nicht regelmäßig auftreten, weil viel davon abhängt, welche Temperatur die Dichtungen oder das Wasser haben, wie lange die Waschmaschine läuft usw. Wenn allerdings der FI-Schutzschalter auslöst, wenn ein bestimmtes Gerät an einer durch diesen gesicherten Steckdose betrieben wird und alle anderen Geräte, die man dort betreibt, diesen Fehler nicht auslösen, wenn dann noch die Messwerte stimmen, dann spricht vieles dafür, dass das betreffende Gerät die Fehlerursache ist. So, ich hoffe, das ist deutlich geworden.
Die Person, um deren Waschmaschine sich dieser Text dreht, jedenfalls war der felsenfesten Überzeugung, dass die Steckdose, an der der Fehler zuerst aufgetreten ist, nicht die Waschmaschine Ursache des Fehlers war. Die Waschmaschine sei schließlich vor kurzem von einem befreundeten Bekannten repariert worden. Na dann. Erklärungsversuchen gegenüber bewies sie sich resistent und verlangte im fortschreitenden Dialog durchaus lautstark, dass ich die Steckdose wechseln sollte, weil dort der Strom irgendwie anders sei. Jeder, der ein wenig von der Materie versteht, weiß sofort, dass eine solche Annahme Unsinn ist, mein Gegenüber jedoch wusste es besser. Irgendwann bin ich dan einfach gegangen. Und ja, ohne die Steckdose zu erneuern.
Wenn ich diese Anekdote meinem Bruder, der ebenfalls Elektroniker ist, erzählen würde, wäre er sofort einer empörten Meinung mit mir, dass man sich mit Meinugen und halbgaren Hypothesen zu Themengebieten, von denen man keine Ahnung hat, lieber zurückhalten sollte. Wenn ich demselben Bruder, der nicht nur Elektroniker, sondern auch evangelikaler Christ ist, etwa über Evolutionsbiologie erzählen würde, etwas, das ich studiert habe und er nicht, würde er alles, was ich erzähle als Unsinn abtun. Rieche ich da zweierlei Maße?